Juckreiz IndikationenJuckreiz ist eine unangenehme Sinnesempfindung, die das Verlangen auslöst, sich zu kratzen. Er ist das Leitsymptom vieler Hauterkrankungen und wird auch durch innerliche Erkrankungen ausgelöst. Juckreiz bessert durch Kühlen, Kratzen und das Zufügen von Schmerzen. Zur medikamentösen Behandlung werden zahlreiche Arzneimittel eingesetzt, je nach Ursache unter anderem Hautpflegemittel, Menthol, Kampfer, Antihistaminika, Glucocorticoide, Capsaicin, Opioid-Antagonisten und Antiepileptika.
synonym: Pruritus
Physiologischer HintergrundJuckreiz entsteht durch eine Aktivierung spezialisierter afferenter unmyelinisierter C-Fasern in der Haut. Diese Fasern sind anatomisch identisch mit jenen, die Schmerzen leiten, unterscheiden sich aber in der Funktion und Reizweiterleitung ins Gehirn. Sie enthalten eine Reihe von Rezeptoren wie zum Beispiel Histamin-Rezeptoren, PAR-2, Endothelin-Rezeptor und TRPV1. Bei der Auslösung und Verstärkung sind Mediatoren wie Histamin, Tryptase, Endothelin, Interleukine, Substanz P, Bradykinin und Prostaglandine beteiligt. Diese werden unter anderem aus Mastzellen freigesetzt. Wie Schmerz kann auch Juckreiz peripher oder zentral ausgelöst werden.
SymptomeJuckreiz wird definiert als eine unangenehme Sinnesempfindung, die das Verlangen auslöst, sich zu kratzen. Begleitsymptome wie ein Brennen, Schmerzen oder ein Stechen können auftreten.
UrsachenHauterkrankungen:
- Trockene Haut, Ekzeme, Austrocknungsekzem
- Atopische Dermatitis (Neurodermitis)
- Psoriasis
- Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Krätze, Läuse und andere Parasiteninfekte, Pilzinfektionen, Windpocken, Badedermatitis
- Allergie, Nesselfieber
- Insektenstiche, Mückenstiche
- Prurigo nodularis, Lichen planus
- Verbrennungen
Systemische Erkrankungen:
- Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkrankungen, Gicht
- Niereninsuffizienz, Urämie
- Neurogener Juckreiz, z.B. Cholestase
- Neuropathischer Juckreiz durch Beeinträchtigung und Schädigung von Nervenbahnen: Postzosterneuralgie, Multiple Sklerose, Hirntumore
- HIV
- Krebs
- Bluterkrankungen wie Leukämie, Lymphome
Arzneimittel und Substanzen:
- Einige Opioide (Morphin, Methadon, Tramadol), Carbamazepin und zahlreiche weitere Medikamente
- Arzneimittelexanthem, z.B. ausgelöst durch Amoxicillin, Acetylsalicylsäure
- Hautkontakt mit einigen Pflanzen, z.B. Brennessel
Weitere Ursachen:
- Schwangerschaft
- Psychogener Juckreiz, z.B. durch Wahnvorstellungen (Parasitophobie, Dermatozoenwahn)
- Psychische Ursachen
- Idiopathischer Juckreiz ohne erkennbare Ursache
- Alter: trockene Haut, erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Histamin
Da Juckreiz eine individuelle Sinnesempfindung ist, wird zur „Messung“ wie beim Schmerz eine visuelle Analogskala (VAS) eingesetzt. Der Patient markiert die Stärke des Juckreizes auf einer Skala von 1 bis 10. Damit kann der Verlauf der Beschwerden und der Erfolg einer Behandlung nachvollzogen werden. Ein Juckreiztagebuch ist ebenfalls hilfreich.
Komplikationen- Kratzen und Reiben kann unter anderem zu einer Hautschädigung, Abschälung, Narbenbildung, Verschlechterung der Beschwerden und bakteriellen Superinfektionen führen. Zudem kann ein Teufelskreis entstehen, wenn das Kratzen den Juckreiz verschlimmert, z.B. bei atopischer Dermatitis. Ein zusätzliches Problem ist das nächtliche Kratzen während des Schlafens (bei atopischer Dermatitis bis zu 20% der Schlafdauer!)
- Schlafstörungen
- Beeinträchtigung der Lebensqualität und psychischen Gesundheit.
- Sensibilisierung mit starker Juckreizempfindlicher Haut (leichte Berühung, Kleidung)
„Pain inhibits itch“ (Yosipovitch et al., 2003)
Das Zufügen von Schmerzen ist gut wirksam gegen Juckreiz und führt zu einer angenehm erlebten Erleichterung:
- Mechanische Stimuli wie Kratzen, Reiben, Schlagen. Kratzen kann aber zu einer wesentlichen Verschlimmerung des Juckreizes beitragen.
- Kälte: Kaltes Wasser, Eis, Cold-Hot-Pack
- Elektrische Stimulation mit Hautelektroden, kleine elektrische Schläge
Die schmerzstillenden μ-Opioide können Juckreiz auslösen und verstärken. μ-Opioid-Antagonisten sind hingegen juckreizstillend.
Kühlen hilft, da sich Juckreiz mit zunehmender Wärme verschlimmert:
- Kühle Umgebung
- Leichte Bekleidung tragen.
- Eine lauwarme oder kühle Dusche nehmen.
- Alkohol und stark gewürzte Speisen meiden.
- Kühlende Hydrolotionen und Gele einreiben. Sie können im Kühlschrank gelagert werden.
- Nachts im Bett verschlimmern sich die Beschwerden, deshalb auch dort für ein kühles Klima sorgen. Eine kühle Dusche vor dem Schlafengehen kann sich positiv auswirken.
Weitere Massnahmen:
- Nägel schneiden, nachts leichte Baumwollhandschuhe tragen (nächtlicher Juckreiz!)
- Ablenkung, um den Juckreiz zu vergessen.
- Austrocknung der Haut mit Seifen vermeiden.
- UV-Bestrahlung
Wenn immer möglich soll die zugrundeliegende Erkrankung behandelt werden, zum Beispiel durch Behandlung einer Infektion mit Antiinfektiva.
Äusserliche medikamentöse BehandlungÄtherische Öle und ihre Komponenten:
- Menthol, Thymol und Kampfer induzieren kurzfristig ein Kältegefühl und maskieren den Juckreiz. Im Handel sind zum Beispiel Kühlgele, Lotionen, Puder oder Cremen erhältlich.
- Cremen und Lotionen pflegen und schützen die angegriffene und trockene Haut. Hydrolotionen haben zusätzlich einen kühlenden Effekt und können grossflächig aufgetragen werden.
- wie zum Beispiel Dimetindenmaleat oder Mepyramin hemmen die Aktivierung der C-Fasern in der Haut. Sie sind nur bei einem histamininduziertem Juckreiz wirksam, also bei einer Allergie, Nesselfieber und Insektenstiche.
- sind nicht primär juckreizstillend, sondern sekundär wirksam, indem sie eine zugrundeliegende Entzündung hemmen. Hydrocortison ist ohne ärztliche Verordnung erhältlich. Glucocorticoide werden auch innerlich angewendet.
- wie Lidocain sollten zurückhaltend und kleinflächig eingesetzt werden, da sie eine Kontaktdermatitis auslösen können.
- Polidocanol
- sind zum Beispiel bei der Behandlung von Windpocken gebräuchlich.
- kann in Form von Zinksalben juckreizlindernd wirken.
Capsaicin (TRPV1-Agonisten):
- ist in Konzentrationen von 0.025 bis 0.075 % juckreizlindernd. Es muss 3- bis 6-mal täglich aufgetragen werden. Es scheint gut wirksam, kann aber initial zu einer Verschlechterung der Beschwerden führen. Entsprechende Zubereitungen müssen in einer Apotheke hergestellt werden.
- Pimecrolimus und Tacrolimus werden bei atopischer Dermatitis verwendet.
- zum Beispiel Dimetindenmaleat oder Cetirizin. Eine hohe Dosis kann notwendig sein. Sie sind nur dann wirksam, wenn Histamin am Krankheitsgeschehen ursächlich beteiligt ist, wie zum Beispiel bei einer Urticaria. Antihistaminika der 1. Generation sind sedierend, was sich positiv auf eine Erregung und Schlafstörungen auswirken kann.
- Ketotifen kann unter anderem bei Juckreiz aufgrund von Nesselfieber verschiedener Ursache und bei atopischer Dermatitis angewendet werden.
- Montelukast soll beispielsweise bei Juckreiz, der durch eine aquagene Urticaria ausgelöst wird, wirksam sein. Es ist in der Schweiz für diese Indikation nicht zugelassen.
- werden auch innerlich verabreicht (s. oben)
- wie SSRI wie Paroxetin und Fluvoxamin, sowie Doxepin, Amitriptylin, Clomipramin, Mirtazapin. Sie scheinen die Empfindung des Juckreizes zu beeinflussen. Doxepin ist aufgrund seiner starken antihistaminen Wirkung auch lokal wirksam.
- wie Gabapentin und Pregabalin hindern vermutlich die Reizleitung zum Gehirn. Sie kommen unter anderem beim neuropathisch ausgelösten Juckreiz zum Einsatz, etwa bei einer Postzosterneuralgie.
- Naloxon und Naltrexon werden unter anderem für die Behandlung von Juckreiz bei einer Cholestase eingesetzt, da dieser durch Akkumulation endogener prurigener Opioide entsteht.
- Methylnaltrexon (lokale Anwendung, nicht im Handel)
- κ-Opioide-Agonisten sind ebenfalls antipruriginös
- Der Opioid-Rezeptor-Agonist Difelikefalin ist für die Behandlung eines Juckreizes im Zusammenhang mit einer chronischen Nierenerkrankung bei erwachsenen Hämodialysepatienten zugelassen.
- Arzneimittel-Fachinformation (CH)
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Interessenkonflikte: Keine / unabhängig. Der Autor hat keine Beziehungen zu den Herstellern und ist nicht am Verkauf der erwähnten Produkte beteiligt.