Carcinoidsyndrom

synonym: Neuroendokrine Tumore, Karzinoide, Karzinoid-Syndrom
SymptomeHauptsymptome sind Durchfälle mit wässrigem Stuhl, Krämpfe im Unterbauch und Flush, d.h. anfallsartige starke Gesichtsrötung oder Violettfärbung, wobei auch der Nacken oder die Beine betroffen sein können. Die unbehandelte oder unerkannte Erkrankung kann zu einem Herzklappendefekt, Teleangiektasien und Pellagra (Vitamin-B2-Mangel) führen.
UrsachenDas Carcinoidsyndrom beruht auf dem gleichnamigen Tumor, der 1907 von Oberndorfer entdeckt wurde. Er kann alle neuroendokrinologischen Gewebe betreffen, tritt aber am häufigsten in Magen, Kolon, Blinddarm oder in der Lunge auf. Es handelt sich um Tumore mit charakteristischem Aussehen und Färbungsverhalten. Sie können beispielsweise bei Patienten mit einer Hypergastrinämie, also einer erhöhten Gastrinsekretion in das Blut, im Zuge des Zollinger-Ellison-Syndrom entstehen.
Häufig liegt eine exzessive Serotoninfreisetzung der entarteten neuroendokrinen Zellen vor, so dass eine Beeinflussung der Leberfunktion möglich ist. Die in den Leberzellen lokalisierte Monoaminoxidase (MAO) katalysiert den Abbau des vom Tumor freigesetzten Serotonins zu biologisch inaktiver 5-Hydroxyindolacetessigsäure (5-HIAA). Die 5-HIAA Urinkonzentration wird zur definitiven Diagnostik in Kombination mit bildgebenden Verfahren genutzt.
RisikofaktorenErkrankungen des Magen- Darm- Traktes, wie das Zollinger-Ellison-Syndrom stellen einen Risikofaktor dar. Auch Schwarzafrikaner haben für die Formen mit Darmbeteiligung ein erhöhtes Erkrankungsrisiko im Vergleich zu anderen ethnischen Gruppen. Eine epidemiologische Studie aus Schweden nennt Carcinoidfälle bei Verwandten ersten Grades, ein hoher Ausbildungsstand und die Geburt in einer Grossstadt als Risikofaktoren.
DiagnoseDie Diagnosestellung erfolgt häufig sehr spät, weil erst dann die typische Symptomatik deutlich wird. Man nutzt vor allem den 5-HIAA Urintest, für den Grenzwerte festgelegt sind. Diagnostisch werden zudem bildgebende Verfahren wie Sonographie, Gewebsentnahme und eine histologische Färbung angewendet.
Differentialdiagnose: Enzym- oder andere Defekte im Neurotransmitterzyklus von Histamin und Serotonin, wie zum Beispiel eine Histaminintoleranz oder eine Migräne. Andere Erkrankungen des hormonbildenden Systems wie Morbus Cushing oder ein Phäochromozytom.
Medikamentöse TherapieChemoembolisation:
- Die Chemoembolisation ist eine Kombination aus chirurischem Eingriff und Chemotherapie, die vor allem paliativ bei einer Lebermetastasierung angewendet wird. Hierzu wird ein Katheter in die Leberarterie oder Pfortader gelegt und ein Zytostatikum sowie ein Embolistationsmaterial, wie Spherex® verabreicht. So wird das Gefäss verstopft und die lokale Zytostatikagabe über den Katheter kann hochkonzentriert in umgebendes Tumorgewebe gelangen. Hierzu ist die übliche Prämedikation notwendig: Opioide, Glucocorticoide und Antiemetika.
Somatostatinanaloga:
- Alternativ kommen Somatostatinanaloga zur Anwendung, die der Patient selbst subkutan injizieren kann. Hier stehen die beiden synthetischen Oligopeptide Octreotid und Lanreotid zur Verfügung. Lanreotid wird alle 28 Tage gegeben. Die Somatostatinanaloga blockieren die Effekte der durch den Primärtumor freigesetzen Peptidhormone, z.B. Tachykinine wie Bradykinin. So kann bei vielen Patienten der sehr unangenehme und sozial beeinträchtigende Flush blockiert werden. Insbesondere bei der Chemoembolisation sollten Somatostatinanaloga vor dem Eingriff gegeben werden, um massive Freisetzung von Serotonin und Peptidhormonen mit Gefässkrämpfen, die zum Versterben des Patienten beim Eingriff führen können, zu vermeiden.
- Die Gabe von radioaktiv markierten Somatostatinalaloga (111In-pentetreotid) stellt einen weiteren neuen Therapieansatz dar. Diese selektive Radiotherapie erfordert jedoch die Isolierung der Patienten aufgrund der grossen Strahlungsdosis, die für die Umgebung zu risikoreich ist.
Serotoninantagonisten:
- Zu Kontrolle der Symptomatik wurden Ketanserin und Methysergid eingesetzt. Beide Serotoninrezeptorantagonisten erscheinen zur Symptomblockade sinnvoll. Ketanserin wirkt jedoch auch blutdrucksenkend, was zu unerwünschten Wirkungen führen kann. In der Schweiz sind beide nicht oder nur als Tierarzneimittel erhältlich. Der 5-HT3 Antagonist Ondansetron, zugelassen bei zytostatikainduziertem Erbrechen, wird in klinischen Studien zur Symptomkontrolle beim Carcinoid geprüft. Wichtige symptomatische Therapeutika sind die schon besprochenen Somatostatinanaloga.
Die frühzeitige Abklärung bei gastrointestinalen Beschwerden erscheint besonders sinnvoll, ansonsten ist eine Tumorprophylaxe schwierig. Mit der Diagnose Carcinoidsyndrom sollte der Betroffene möglichst versuchen, die Symptomatik zu kontrollieren, dies kann z.B. durch Vermeiden von starker sportlicher Betätigung, Alkoholkonsum und stark gewürzten exotischen Gerichten erfolgen.
Als unpezifische Warnsymtome gelten wiederkehrende wässrige Durchfälle und in seltenen Fällen auch andauernder Husten (Carcinoid der Bronchien). Flush ist ein typisches Warnsymptom.
Für Carcinoidpatienten wird eine Supplementierung mit Vitamin B2 (Nicotinamid) empfohlen, um den Mangelerscheinungen aufgrund der exzessiven Serotoninbildung, die Vitamin B2 abhängig ist, entgegen zu wirken.
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- Arzneimittel-Fachinformation
Dr. Matthias Vogelsgesang, Apotheker, für PharmaWiki.ch
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