Wiewohl Viele, nicht nur Aeltere, sondern auch Jüngere über die Zubereitung der Arzneimittel, sowie über ihre Heilkraft und Prüfung ge- schrieben haben, theurer Areios, werde ich dir doch zu beweisen suchen, dass kein vergebliches und grundloses Streben mich zu dieser Abhand- lung veranlasst hat, weil die Einen derselben nichts geleistet, die Anderen das Meiste nach der Erzählung aufgezeichnet haben. Denn Iolas von Bithynien und Herakleides von Tarent haben dieselbe Materie wohl kurzhin behandelt, aber unter gänzlicher Vernachlässigung der Botanik, die Metalle und Gewürze haben sie sämmtlich gar nicht erwähnt. Krateuas dagegen, der Rhizotom, und der Arzt Andreas, diese nämlich scheinen sich eingehender als die Uebrigen mit diesem Gegenstande be- schäftigt zu haben, haben viele sehr nützliche Wurzeln und auch manche Pflanzen unbeschrieben gelassen. Uebrigens muss den Alten bezeugt werden, dass sie auf das Wenige, was sie hinterlassen, auch Sorgfalt ver- wandt haben, wogegen den Jüngeren, darunter Bassos Tylaios, Nikeratos und Petronios, Niger und Diodotos, sämmtlich Asklepiaden, nicht Bei- fall gespendet werden kann. Diese haben zwar den Allen vertrauten und bekannten Arzneischatz einer einigermassen sorgfältigen Behandlung werth gehalten, über die Kräfte der Arzneimittel und die Merkmale ihrer Aecht- heit haben sie nur oberflächlich angegeben, indem sie ihre Wirkung nicht durch Versuche feststellten, sondern mit leerem Gerede aber die Ursachen jedes derselben auf Verschiedenheiten der Urkörper zurückführen und überdies das Eine mit dem Anderen verwechseln. So behauptet Niger, der doch der bedeutendste unter ihnen zu sein scheint, dass das Euphor- bium der Saft des in Italien wachsenden Zwergenbaums sei und das An- drosaimon leiste dasselbe wie das Johanniskraut, die Aloë sei ein fossiles Product Judäas, und Anderes dergleichen mehr fabelt er, offenbar der Wahrheit entgegen, ein Beweis nicht für eigene Anschauung, sondern für Nacherzählen von falsch Verstandenem. Auch in der Anordnung fehlten sie, die Einen, indem sie nicht unter einander verwandte Kräfte zusammenbringen, die Anderen dagegen, nach dem Alphabet aufzählen, trennten das nach Art und Wirkung Gleichartige, damit es dadurch leichter im Gedächtniss behalten werde. Wir aber haben sozusagen von der ersten reiferen Jugendzeit an unablässig mit einem gewissen Verlangen, die Materie kennen zu lernen und nach Durchwanderung vieler Länder - denn du kennst unsere mili- tärische Laufbahn - den Gegenstand in fünf Büchern bearbeitet, und zwar auf Betreiben von dir, dem wir auch die Arbeit widmen, erwidernd das Wohlwollen, welches du uns bewiesen hast, der du ja deiner Natur nach alle die zu deinen Freunden zählst, welche wissenschaftlich gebildet sind, besonders aber diejenigen, welche mir dir dieselbe Kunst betreiben, in hervorragender Weise jedoch uns selbst. Kein geringer Beweis für deine Rechtschaffenheit ist aber die Zuneigung des hochachtbaren Likanios Bassos für dich, die wir im Verkehr mit euch erkannten, wo wir das nach- ahmenswerthe Wohlwollen unter euch beiden gegen einander beobachteten. Wir bitten aber dich und die Leser dieser Schrift, nicht auf unsere Geschicklichkeit in der Darstellung zu sehen, sondern auf die der Sache selbst zugleich mit Erfahrung gewidmete Sorgfalt. Denn wir haben mit äusserster Genauigkeit den grössten Theil aus eigener Anschauung kennen gelernt, Einiges laut der bei Allen übereinstimmenden Erzählung und Forschung nach dem, was bei den Einzelnen einheimisch ist, zuver- lässig erfahren und werden nun versuchen, sowohl eine abweichende An- ordnung anzuwenden, als auch die Arten und Kräfte eines jeden Mittels zu beschreiben. Es leuchtet wohl Jedem ein, dass eine Belehrung über die Arznei- mittel nothwendig ist, welche sich über die gesammte Kunst verbreitet und jedem Theil derselben eine unschätzbare Hillfe gewährt. Sie (die Kunst) kann deshalb auch nach den Zubereitungen, den Mischungen und den bei den Krankheiten angestellten Versuchen gefördert werden, weil die Kennt- niss eines jeden Arzneimittels sehr viel dazu beiträgt. Wir werden auch dazu nehmen die allgemein bekannte und verwandte Materie, damit die Schrift vollständig werde. Vor Allem ist es nothwendig, mit Sorgfalt bedacht zu sein auf die Aufbewahrung und das Einsammeln eines jeden (Mittels) zu der ihm ange- passten geeigneten Zeit. Denn davon hängt es ab, ob die Arzneien wirk- sam sind oder ihre Kraft verlieren. Sie müssen nämlich bei heiterem Himmel gesammelt werden; denn es ist ein grosser Unterschied darin, ob die Einsammlung bei trockenem oder regnerischem Wetter geschieht, wie auch, ob die Gegenden gebirgig, hochgelegen, den Winden zugängig, kalt und dürr sind, denn die Heilkräfte dieser (Pflanzen) sind stärker. Die aus der Ebene, aus feuchten, schattigen und windlosen Gegenden sind zumeist kraftloser, um so mehr, wenn sie zur ungeeigneten Zeit einge- sammelt oder aus Schlaffheit hingewelkt sind. Auch ist freilich nicht ausser Acht zu lassen, dass sie oft durch die gute Bodenbeschaffenheit und das Verhalten der Jahreszeit früher oder später ihre volle Kraft haben. Einige liebe die Eigenthümlichkeit, dass sie im Winter Blüthen und Blätter treiben, andere blühen im Jahre zweimal. Wer hierin Er- fahrung sammeln will, der muss dabei sein, wenn die neuen Sprossen aus der Erde kommen, wenn sie sich im vollen Wachsthum befinden und wenn sie verblühen. Denn weder kann der, welcher zufällig nur das Hervor- spriessen beobachtet, die volle Kraft (der Pflanze) kennen lernen, noch der, welcher nur eine vollblühende Pflanze gesehen hat, diese beim Hervor- spriessen erkennen. Daher verfallen wegen der Veränderungen an den Blättern, an der Grösse der Stengel, an den Blüthen und Früchten und wegen irgend anderer Eigenthümlichkeiten diejenigen über dieses und jenes in grossen Irrthum, welche nicht in solcher Weise Beobachtungen ge- macht haben. Aus diesem Grunde wenigstens haben einige Schriftsteller sich täuschen lassen, wenn sie behaupten, einige (Pflanzen) brächten weder eine Blüthe, noch einen Stengel, noch eine Frucht hervor, wie beim Grase, beim Huflattich und Fünffingerkraut. Wer diesen Dingen oft und an vielen Orten begegnet ist, wird von ihnen am besten sich Kenntniss verschaffen. Weiterhin muss man wissen, dass einige Pflanzenmittel viele Jahre sich halten, wie die weisse und schwarze Nieswurz, die übrigen zumeist auf drei Jahre hin brauchbar sind. Die zarten Pflanzen, z. B. Schopflavendel, heller Glamander, Polei, Eberreis, Seebeifus, Wermuth, smyrnäischer Dosten und Aehnliches muss man sammeln, wenn sie im Samen stehen, die Blüthen aber vor ihrem Abfallen, die Früchte, wenn sie reif sind, und die Samen, wenn sie zu trocknen beginnen, vor dem Ausfallen. Die Pflanzensäfte muss man bereiten aus den Stengeln, wenn sie eben aus- schlagen. Aehnlich verhält es sich mit den Blättern. Die ausfliessenden Säfte aber und die Tropfenausscheidungen (Thränen) muss man gewinnen, indem man die Stengel anschneidet, wenn sie sich noch in voller Kraft befinden. Die zum Aufbewahren und zum Saftausziehen, sowie zum Abziehen der Rinde bestimmten Wurzeln (sammelt man), wenn die Pflanzen anfangen, die Blätter zu verlieren. Dabei (muss man) die reinen sofort an nicht feuchten Orten trocknen, die mit Erde oder Lehm behafteten in Wasser abwaschen, die Blüthen aber und, was Wohlgerüche enthält, in trockenen Kisten von Lindenholz aufbewahren. Manches gibt es, was vortheilhaft in Papier oder Blätter eingehüllt wird zur Erhaltung der Samen. Für die flüssigen Arzneien eignet sich ein durch und durch dichter Behälter (Stoff) aus Silber, Glas oder Horn verfertigt, auch ein irdener, nicht poröser ist dazu passend und ein hölzernen, wie er besonders aus Buchsbaum verfertigt wird. Die erzenen Gefässe sind angebracht für Augen- und feuchte Mittel, besonders für solche, die aus Essig, aus Theer und Cedernharz bereitet sind. Fette und Mark müssen in Zinngefässen aufbewahrt werden.