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Morbus Meulengracht Indikationen Gelbsucht

Die Meulengracht-Krankheit (Synonym: Gilbert-Syndrom) äussert sich in einer leichten Erhöhung des Häm-Abbauprodukts Bilirubin im Blut. Sie kann zu einer Gelbfärbung der Haut und der Augen und zu unspezifischen Beschwerden führen. Mit geschätzten 3 bis 10 % sind vermutlich grosse Teile der Bevölkerung betroffen. Die Ursache liegt in der verminderten Aktivität des Enzyms UGT1A1, das Glucuronidierungen katalysiert und an der Ausscheidung von Bilirubin wesentlich beteiligt ist. Der veränderte Metabolismus kann bei der Einnahme einiger Medikamente zu unerwünschten Wirkungen führen.

synonym: Gilbert-Syndrom, Meulengracht-Krankheit

Hintergrund

Der menschliche Organismus verfügt über verschiedene Mechanismen, um körpereigene und fremde Substanzen zu metabolisieren. Einer dieser Mechanismen ist die Glucuronidierung, die vor allem in der Leber stattfindet. Dabei übertragen Enzyme aus der Superfamilie der UDP-Glucuronosyltransferasen (UGT) ein Molekül Glucuronsäure von UDP-Glucuronsäure auf das Substrat. Am Beispiel Paracetamol:

Als Substrate für die Reaktion werden Alkohole, Phenole, Carbonsäuren, Amine und Thiole akzeptiert. Neben körpereigenen Substraten wie Bilirubin, Gallensäuren, Thyroxin, Steroiden und Vitaminen werden auch viele pharmazeutische Wirkstoffe glucuronidiert. Der Zweck dieser metabolischen Reaktion liegt darin, die Substrate zu inaktivieren und wasserlöslich zu machen, damit sie besser über die Leber und Niere ausgeschieden werden können.

Symptome

Der Morbus Meulengracht (Synonym: Gilbert-Syndrom) ist eine bei 3 bis 10 % der Bevölkerung vorkommende, milde unkonjugierte Hyperbilirubinämie. Sie äussert sich in erhöhten Bilirubinwerten im Blut und kann zu einer Gelbsucht mit einer Gelbfärbung der Haut und Augen führen, was die Betroffenen und Angehörige vor der Diagnose stark beunruhigen kann.

Im Unterschied zum schwer verlaufenden Crigler-Najjar Syndrom wird der Morbus Meulengracht in den meisten Publikationen als gutartig, symptom- und komplikationslos bezeichnet. Allerdings werden dem Syndrom auch zahlreiche unspezifische Beschwerden wie zum Beispiel Müdigkeit, Verstimmungszustände, Verdauungsstörungen, Kopf- und Unterbauchschmerzen zugeschrieben, welche die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtigen können. Bilirubin werden allerdings auch positive Eigenschaften zugeschrieben.

Ursachen

Die Ursache des Gilbert-Syndroms ist eine verminderte Enzymaktivität der UDP-Glucuronosyltransferase UGT1A1. Dies führt zu einer ungenügenden Glucuronidierung des Häm-Abbauprodukts Bilirubin und zu einer reduzierten Ausscheidung über die Galle. Die Folge sind erhöhte Bilirubinkonzentrationen im Blut und in einigen Fällen eine Gelbsucht. Dabei erhöht sich das unkonjugierte (sog. indirekte) Bilirubin. UGT1A1 ist das einzige Isoenzym, welches Bilirubin konjugiert.

Die Bilirubinkonzentrationen können während des Fastens, bei körperlicher Aktivität, bei Stress, einer Krankheit und während der Menstruation erhöht sein und so die Gelbsucht verstärken. Bilirubin ist ein Abbauprodukt von Häm, das hauptsächlich beim Abbau der roten Blutzellen anfällt. Auch Myoglobin im Muskel und einige Enzyme wie die Cytochrome enthalten Häm.

Die tiefere Ursache des Syndroms sind Varianten des Gens UGT1A1. Am bekanntesten ist die Variante UGT1A1*28, bei welcher im Promoter zwei zusätzliche Nukleotide TA eingefügt sind. Dies führt zu einer Reduktion der Transkription um 70 %. Zusätzlich spielen möglicherweise auch andere genetische oder erworbene Faktoren eine Rolle.

Differentialdiagnose

Das wichtigste diagnostische Kriterium ist der erhöhte Bilirubinwert im Serum, der häufig zufällig bei einer Blutuntersuchung entdeckt wird. Viele Lebererkrankungen können eine Gelbsucht auslösen und müssen bei der Diagnose ausgeschlossen werden.

Pharmazeutische Bedeutung

Da auch pharmazeutische Wirkstoffe von UGT1A1 konjugiert und inaktiviert werden, ist bei einer Hemmung des Abbaus mit erhöhten Plasmakonzentrationen zu rechnen. Falls es sich um einen wichtigen metabolischen Weg handelt, können daraus unerwünschte Wirkungen entstehen. Das Phänomen ist allerdings noch nicht ausreichend untersucht.

Zu den Substraten von UGT1A1 gehören zum Beispiel Atorvastatin, Buprenorphin, Estradiol, Ethinylestradiol, Gemfibrozil, Ibuprofen, Indinavir, ein Metabolit von Irinotecan, Ketoprofen und Simvastatin.

Paracetamol ist beim Gilbert-Syndrom gemäss der Fachinformation kontraindiziert, weil aufgrund der ungenügenden Glucuronidierung der lebertoxische Metabolit NAPQI vermehrt gebildet werden könnte. Die klinische Relevanz ist jedoch umstritten.

Relativ unbestritten ist hingegen, dass die Toxizität des Zytostatikums und Prodrugs Irinotecan bei Patienten mit dem Gilbert-Syndrom erhöht ist, da der Hauptmetabolit SN-38 zu atoxischen Metaboliten glucuronidiert wird. Die Dosis muss reduziert und das Blutbild überwacht werden. Irinotecan ist zur Behandlung des metastasierenden Kolonkarzinoms zugelassen.

Wirkstoffe, die durch eine Glucuronidierung nicht inaktiviert, sondern aktiviert werden, sind selten. In einem solchen Fall ist theoretisch mit einer Abschwächung der Wirkung zu rechnen, da der aktive Metabolit nicht ausreichend gebildet wird.

Da auch mutagene Xenobiotika durch die Glucuronidierung entgiftet werden, besteht die Möglichkeit, dass der Organismus diesen stärker ausgesetzt wird.

Schliesslich wurde gezeigt, dass Wirkstoffe, die UGT1A1 in seiner Aktivität hemmen, wie zum Beispiel die HIV-Proteasehemmer Atazanavir und Indinavir, eine Hyperbilirubinämie verstärken oder sogar auslösen können.

Medikamentöse Behandlung

In der Regel wird keine Therapie verschrieben, da der Zustand als gutartig angesehen wird. Die erwähnten Auslöser (Fasten, Sport, Stress) können teilweise beeinflusst werden.

Zur medikamentösen Behandlung kommen Enzyminduktoren in Frage. Eine regelmässig eingenommene Dosis Phenobarbital verringert die Hyperbilirubinämie (Tagesdosis 50 bis 150 mg, Off-Label-Use). Auch Rifampicin ist möglicherweise geeignet und wurde in einer kleinen Studie an zwei Patienten erfolgreich eingesetzt. Bei beiden Wirkstoffen muss aber mit unerwünschten Wirkungen gerechnet werden und sie werden selten verschrieben. Beide sind nur wirksam, solange sie eingenommen werden. Aus unserer Sicht haben diese Wirkstoffe zu viele unerwünschte Wirkungen, um für die Behandlung in Betracht gezogen zu werden.

Das Flavonoid Chrysin (5,7-Dihydroxyflavon) kann in vitro UGT1A1 induzieren, aber die Relevanz in vivo ist umstritten. Chrysin soll unter anderem im Passionsblumenkraut vorkommen und wird in einigen Ländern als Nahrungsergänzungsmittel verkauft.

Im Prinzip müsste es möglich sein, UGT1A1 selektiv mit einem synthetischen Wirkstoff oder einem Naturstoff zu induzieren und so bei geringen unerwünschten Wirkungen die Hyperbilirubinämie zu reduzieren. Ein solches Medikament ist in dieser Indikation noch nicht im Handel.

Wissenswertes

Gilbert und Lereboullet haben das Phänomen 1901 und Meulengracht erneut im Jahr 1939 beschrieben. In der deutschen Literatur wird es häufig als Morbus Meulengracht, in den englischsprachigen hingegen als Gilbert-Syndrom bezeichnet.

siehe auch

Gelbsucht

LiteraturAutor

Interessenkonflikte: Keine / unabhängig. Der Autor hat keine Beziehungen zu den Herstellern und ist nicht am Verkauf der erwähnten Produkte beteiligt.


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Der Autor dieses Artikels ist Dr. Alexander Vögtli. Dieser Artikel wurde zuletzt am 21.7.2023 geändert.
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